Tuesday, February 03, 2015

Tod im Stadtpark

Die Sonne hatte den Horizont noch nicht ganz erreicht. Es schien, als ob der Tag sich das mit dem Aufstehen noch einmal überlegen wollte. Erst ein Auge vorsichtig öffnen...schnell wieder schliessen, um noch ein paar Minuten herauszuschinden, bis man dann schließlich doch beide Augen öffnet und sich entscheidet, sich einem weiteren Tag und seinen Ereignissen zu stellen.

Der Stadtpark lag in völliger Stille. Tautropfen glitzerten auf den Grashalmen. Die Wiese von einem feuchten Schleier verhüllt. Nach und nach begannen die Vögel zu zwitschern. Erst zögerliches, heiseres Piepen, ein Orchester beim Einstimmen der Instrumente. Dann legte einer nach dem anderen richtig los. Schließlich sang die ganze Mannschaft, als wollten sie den Tag dazu bringen, nun endlich die Beine aus dem Bett zu schwingen und die Jalousie zu öffnen, um die Sonne hereinzulassen. 

Während dieselbe sich nun auch anschickte, den Horizont zu überwinden und den Tag in Augenschein zu nehmen, war die Stimmung im Kaninchenbau mies wie jeden Morgen. Vater Kaninchen bestand auf eine allmorgendliche Gymnastikrunde, mit anschließendem Thai Chi. Raus aus dem Bau, im Kreis aufstellen. Nun ja, aufsetzen. Und dann den linken Löffel heben, senken. Den rechten Löffel heben, senken. Die Läufe der Reihe nach anheben und drei Mal fest auf den Boden klopfen. Vater hatte im letzten Sommer "Bambi" im Stadtpark Open Air Kino gesehen und bestand seit dem darauf, daß sie ihn Klopfer nannten. 

Schließlich stützten sie sich auf die Vorderläufe, hielten den Po in die Luft und schüttelten diesen ausgiebig.

Von der Kaninchenfamilie unbemerkt, hatte sich ein Hund genähert. Mit schiefgelegtem Kopf betrachtete der Golden Retriever interessiert das seltsame Treiben der kleinen Tierchen. Fünf unterschiedlich große, braune Kaninchen hockten im Kreis auf der Wiese und vollführten lustige Bewegungen. Wäre es ein Tag wie jeder andere gewesen, hätte der Hund noch eine Weile zugesehen, den Kopf geschüttelt und wäre dann schließlich seinem Herrchen hinterhergetrottet.

Nicht so heute. Nachdem ihm gestern vom Schäferhund aus dem Nachbargarten vorgeworfen worden war, daß er ein verweichlichter, feiger Schoßhund wäre und eine Schande für seine Art, mußte er etwas tun, um diese Anschuldigungen zu widerlegen. Unerhört! Er, der so mutig seine Familie beschützte. Zumindest würde er es wahrscheinlich tun, wenn er müßte. Aber als er diese fünf pelzigen kleinen Gestalten sah, wußte er was zu tun war, um im Ansehen des nachbarlichen Hundekreises wieder zu steigen.

Er setze sich in Bewegung. Zum Glück für ihn aber zum höchsten Unglück der Kaninchenfamilie, waren diese gerade bei der progressiven Muskelentspannungsphase. Alle hatten die Augen geschlossen und lagen entspannt auf dem Rücken, als der große gelbe Hund plötzlich in ihrer Mitte stand und nach der ältesten Schwester schnappte. Erschrocken und voller Todesangst erstarrten zunächst alle. Dann nahmen die restlichen Familienmitglieder die Läufe in die Hand und machten, daß sie in ihren Bau zurückkamen. 

"Bruno! Aus!" rief sein Herrchen. Zu spät. Zwar ließ er das nun nicht mehr zappelnde Fellbündel fallen, aber die Blutstropfen an seinen Leftzen ließen keinen guten Ausgang erahnen...