Sunday, May 13, 2012

Immer der Nase nach

Nahezu all meine Erinnerungen sind mit Gerüchen verbunden. Der Geruch unseres Wohnmobils, am Tag als es in den Urlaub ging. Mein Daunenschlafsack, wenn ich zum Schlafen hineinkroch, und am morgen wieder heraus. Was mich wiederum wie ein Gänsekücken riechen liess, wie meine Mutter nie müde wurde zu erwähnen. Der Geruch meines Stoffhundes "Debbel", der jahrelang als mein Urlaubskopfkissen herhalten musste. Nach nur einer Nacht roch er so sehr nach mir, dass selbst meine Mutter uns anhand eines Geruchstests nicht hätte auseinanderhalten können. Der Geruch des Kaffees, den meine Mutter zum Frühstück kochte und der bei mir als Kind Übelkeit hervorrief. Der Geruch, kombiniert mit kurvenreichen Alpenstrassen und einem leeren Magen, da ich als Kind kein Weissbrot mochte, was mich im Urlaub ausserhalb Deutschlands meist auf Diät setzte, führte regelmäßig dazu, dass wir ungeplante Pausen einlegen mussten. Damit ich mich übergeben konnte. Der Geruch der blauen Flüssigkeit, die man in Campingtoiletten füllt. Oder, schlimmer, Rast- und Campingplatztoiletten. Dieselben in Frankreich verdienen nicht einmal den Namen. Da sind die Franzosen so etepetete und vornehm und dann reicht es gerade mal für ein Loch im Boden. 

Und dann, der beste aller Gerüche: Wenn man nach Wochen endlich wieder nach Hause kommt. Die Tür öffnet und es im ersten Moment ganz unvertraut riecht. Anders. Aber innerhalb kurzer Zeit riecht es wieder wie immer. Gar nicht. Denn es riecht nach uns.

Der Geruch frisch gewaschener Bettwäsche. Mit Muttis Waschmittel gewaschen und stundenlang an der frischen Luft getrocknet. Die Erinnerung an diesen Geruch ist besser als jedes Schlafmittel oder Antidepressivum. Der Geruch unseres Heizungskellers. Ich denke nicht, dass es sehr gesund für meinen Vater war, seine Werkstatt im Heizungskeller einzurichten. Die Öldämpfe müssen ihm nach einiger Zeit zur Kopf gestiegen sein. Aber bis heute denke ich bei dem Geruch an Winter, Regen und Kälte. Langlaufski-, Ski- und Schlittenfahren. Wenn wir nach Stunden draußen im Schnee, kaputt, müde und glücklich, wieder nach Hause kamen, ging es als erstes in den Heizungskeller. Die nassen Schuhe, Schneeanzüge und Skier wurde zum Trocknen aufgehängt und wir schleppten uns die Stufen hoch in die warme Küche zu Tee und Kakao oder direkt in die heisse Badewanne. 

Chlor. Hallenbäder, Freibäder. Der Geruch von Chlor, weil ich mal wieder zu lange Zeit im Wasser verbracht habe. Gemischt mit Sonnencreme und Sonnenbrand kommen unendlich viele schöne, lustige und ein paar wahnsinnig traurige Erinnerungen hoch. Chlor wird immer ein besonderer Geruch für mich bleiben.

Das Meer. Der Geruch des Salzes, wenn man das Meer noch lange nicht sehen kann. 

Mein eigenes Zimmer unter dem Dach. Holzpaneele und Teppichboden. Der Geruch von neuem Teppichboden. Ich kann mich immer noch an den Verkäufer und den Laden erinnern. Obwohl ich kaum vier Jahre alt war. Der Geruch meines ersten Haustieres. Ein Wellensittich. Vor ein paar Jahren war ich mit Kollegen Essen und aus irgendeinem Grund schnupperte ich an der Tischdekoration. Er roch genauso wie der Käfig meines Vogels, kurz bevor er mal wieder gereinigt werden musste. Nicht wirklich unangenehm. Aber recht intensiv nach Federn und Vogelkot. Wenn der Vogel allerdings mal wieder am Bierglas meiner Mutter genippt hatte, roch er nicht mehr so gut…

Meine erste eigene Wohnung. Über einem griechischen Imbiss. Es war völlig gleichgültig, ob das Fenster auf war oder zu, es roch immer nach Essen. 

Der Geruch einer kalten Winternacht. Wenn man weiß, dass es jeden Moment anfangen wird, zu schneien. Und Sylvester. Wenn es kurz vor Mitternacht schon so extrem nach Feuerwerk riecht, als ob das neue Jahr schon längst begonnen hätte. Bloss weil ein paar Halbstarke ein Jahr lang gespart und so viele Böller gekauft haben, dass sie mittags mit Knallen anfangen müssen, weil sie sie sonst nie alle aufbrauchen könnten.

Die Bäckerei in Hamburg, die die besten Franzbrötchen verkaufte. Und leider nach ein paar Jahren dicht machte. Der Geruch wird mich immer an mein erstes Jahr in Hamburg erinnern. Zwei Franzbrötchen, frischer Kaffee, Herr Witthöft und Frau Buchholz. Und eine Menge lustiger bis unglaublicher Erlebnisse, die ich auch irgendwann einmal aufschreiben muss.

Frühling in Hamburg. Wenn es zum ersten Mal ein wenig wärmer wird. Dieser Geruch lässt sich nur schwer beschreiben aber die Erinnerung daran lässt mich unweigerlich lächeln.

Im Stadtpark in Hamburg gibt es eine Stelle, die im Frühling so extrem nach Blüten riecht, dass man denken könnte, man säße in einem Reisebus mit dem Landfrauenverein. Beim Joggen musste ich dort immer den Atem anhalten, da mir sonst regelmäßig übel wurde.

Kieztoiletten. Hier vermischt sich der übliche Uringeruch mit Alkohol, Zigaretten, Parfum und der Hoffnung, heute Abend den Richtigen zu treffen. Oder einfach nur einen Riesenspaß zu haben. Der Kiez am Morgen. Kalter rauch, Urin, Alkohol, Erbrochenes, und die Reste der Hoffnung und des Spasses.

Unerwartete Gerüche. Wie zum Beispiel die Bäume, deren Blüten wie Sperma riechen. Das wäre mir ohne den Hinweis einer Freundin nie wirklich aufgefallen. Aber wenn ich nun in die Nähe dieser Bäume komme, gibt es kein Entkommen von dieser Assoziation. Danke, Katja!

Flugzeuge. Kurzstreckenflüge mit Lufthansa. Es gab Momente, in denen ich am liebsten in der Flugzeugtür umgekehrt wäre, da der Geruch so überwältigend war und mir augenblicklich so übel wurde, dass ich ein paar Mal der Stewardess fast auf die Bluse gespuckt hätte. 

Parfum. Ich habe jede Menge davon benutzt. Über die Jahre hinweg hatte sich mein Geschmack extrem verändert. Bis ich, vor ein paar Jahren, ganz aufgehört habe, Parfum zu benutzen. Mit dem Ergebnis, dass meine Nase noch empfindlicher wurde. Jeder Geruch löst etwas in mir aus. Unangenehme führen dazu, dass ich mir etwas vor die Nase halten muss, ich so schnell wie möglich aus dem Dunstkreis verschwinden muss oder mir unglaublich schlecht wird. Aber es gibt auch die andere Seite. Gerüche, die meine Laune steigern oder, wenn es sich um eine Person handelt, mich unglaublich anziehen. Auf eine Art und Weise, wie es Aussehen, Charakter und sonstige Eigenschaften niemals tun könnten.

Der Geruch meiner Haare, wenn ich mich frisch gefärbten Haaren vom Friseur zurückkomme. 

Manchmal bin ich völlig überfordert von Gerüchen. Als ich mal eine Woche gefastet habe, musste  ich die Strassenseite wechseln, wenn ein Raucher vor mir herlief. Der Geruch von Essen machte mich fast wahnsinnig. Parfum war überhaupt nicht zu ertragen. Besonders schlimm ist es beim Ausgehen in rauchfreien Clubs. Wenn alles tanzt und schwitzt stehe ich da wie ein Hund und bekomme einen Geruch nach dem anderen in die Nase. Entweder wird mir übel oder auf dem Sprung, einem Mann hinterherzulaufen, weil der so unglaublich anziehend riecht. Sehr verwirrend. 

Monday, May 07, 2012

Aus der Reihe: Hätte ich das nur eher gewußt...



Ich bin nichts besonderes. Das, was ich denke, meine Zweifel an mir selbst, das gleiche geht in Millionen anderer Köpfe vor. Die Realisierung dieser Tatsache hat mich wohl weiter gebracht als jede andere Einzelheit, die ich je in meinem Leben gelernt habe. Ich bin lediglich eine dieser Ameisen, die auf dem Hügel herumkrabbeln. Alles rennt an mir vorbei, ohne weiter Notiz von mir zu nehmen. Alle haben die gleichen Gedanken, die mir auch durch den Kopf gehen: Was denken die anderen von mir, sitzen meine Haare, macht die Hose mich fett, dieser Pickel auf meiner Stirn (der sich riesig anfühlt, den aber ausser mir niemand bemerkt), jeder sieht doch, wie unsicher ich bin die der jeweiligen Situation. Blödsinn. Jeder, dem man täglich auf der Strasse begegnet, ist mit ähnlichen Gedanken beschäftigt und wird mich sicherlich nicht lange genug ansehen, um die winzige Hautunreinheit auf meiner Stirn zu bemerken, die sich für mich anfühlt, als wäre sie so gross wie mein Kopf! Ich bin mir bewußt, daß Ameisen weder Jeans tragen, Haare haben und höchstwahrscheinlich haben sie auch keine Hautunreinheiten...

Sobald ich begriffen hatte, daß ich nicht der Mittelpunkt der Welt war, wurde mein Leben so unglaublich viel einfacher, leichter. Wenn jeder mit sich selbst beschäftigt ist, und damit, wie er auf andere wirkt, hat niemand Zeit, sich mit anderen, somit mit mir zu beschäftigen. Somit kann ich völlig unbeobachtet durch die Welt gehen. Ungewaschen, schlecht bekleidet, nackt. Es interessiert keine Sau! Was eine Erleichterung!

Einen Schritt weiter gehend. Niemanden kümmert es, wenn ich meine Bedürfnisse anmelde und durchzusetzen versuche. Herr Busfahrer, könnten sie vielleicht ausnahmsweise einmal zwischen den Haltestellen anhalten… Höchstwahrscheinlich bemerkt das nicht einmal jemand, dass der Bus anhält, wenn er gar nicht anhalten sollte. Zugegeben, abgesehen von unserem Shuttle Bus ist das anhalten zwischen den Haltestellen nicht notwendig, da es in den USA alle hundert Meter eine Haltestelle gibt… Sonst müsste man ja zu weit laufen. Und dann würden noch weniger Menschen Busse und Bahnen nutzen.

Ok, um wieder auf das ursprüngliche Thema zurück zu kommen: Mich! Je mehr ich mich näher mit Menschen beschäftige, desto mehr realisiere ich wie wenig sie sich für andere als sich selbst interessieren. Je mehr Fragen man stellt, desto weniger Fragen bekommt man gestellt. All diese Sprüche:

Jeder ist sich selbst am nächsten
Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht

Sind wahr und sehr hilfreich. Keine Sau interessiert sich für jemand anderen als für sich selbst. Wie viel entspannter kann man durch die Welt gehen, wenn einem das klar geworden ist!